15.11.2021

Mike Stewart »Du weißt, dass Du am Leben bist, wenn Du im Eishockey arbeitest.«

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Das vollständige Interview mit Mike Stewart vom 12.10.2021 zum Anhören

Die Kindheit auf einer Ranch in Kanada, heute Cheftrainer der Grizzlys Wolfsburg – zwei völlig unterschiedliche Welten, in denen Mike Stewart zu Hause ist. Wenn der 49-Jährige in seiner charismatischen Art und Weise erst einmal anfängt zu erzählen, ist das verbindende Element aber ganz klar: Eishockey! 

Er spricht hervorragend Deutsch und wenn man ihm zuhört, spiegeln sich auch sprachlich die Stationen wider, die er in seiner Karriere als Spieler und Coach durchlaufen hat. Kanadisch, „Kärntnerisch“ und Deutsch fügen sich zu seinem ganz eigenen „Mike-German“, wie er es nennt, zusammen, und sind sein Markenzeichen geworden. 

Mike Stewart im Interview in der Kabine der Grizzlys Wolfsburg
Foto: Janina Snatzke

Wir hatten die große Freude, Mike Stewart zu einem Gespräch in der Kabine der Grizzlys zu treffen, in dem er mit uns seine Sicht auf Wolfsburg und seine Ziele mit dem Team teilte.

Zuhause (ZH): Hallo, Mike. Du hast im Mai bei den Grizzlys unterschrieben – bist Du schon richtig in Wolfsburg angekommen? 

Mike Stewart (MS): Ich würde sagen, ja. Als Gegner war ich oft hier, aber damals habe ich das VW-Gefühl nie so richtig verstanden. Wenn man dann hier mittendrin ist, spürt man, was VW der Stadt bedeutet und was es unserer Mannschaft bedeutet. Wir als Mannschaft sind nicht nur Vertreter der Stadt Wolfsburg, sondern auch von VW. Ich bin mit meinen zwei Töchtern Anfang August rübergeflogen. Wenn man im Eishockey-Business eine neue Mannschaft übernimmt, geht es richtig schnell und Du musst eine Menge Zeit investieren hier in der Halle. Mit Charlie Fliegauf, unserem Manager, hatte ich von Anfang an viel zu tun und auch mit unserer Geschäftsstelle.

Etwas später hatte ich dann aber auch Zeit, um mehr von der Stadt zu sehen. Ich wohne in Brackstedt in einem Haus, das mir der Maklerservice von Volkswagen Immobilien vermittelt hat. Und ich muss sagen, dass ich von dem Haus und der Stadt wirklich beeindruckt bin. Vor allem als Nordamerikaner kommt mir vieles vertraut vor. Es ist vieles neu, es ist sehr sauber, man kann gut essen, es gibt genug Entertainment, es ist nicht zu groß, aber auch nicht zu klein – ich finde es sehr, sehr fein.

ZH: Wie kommt es, dass Du so gut Deutsch sprichst? 

MS: Im Jahr 2000 war meine erste Saison hier in Deutschland. Damals war ich in Frankfurt. Meine Frau und ich waren frisch verheiratet und wir haben uns gesagt, dass wir es für ein Jahr hier ausprobieren wollen. Das ist nun 21 Jahre her. Zunächst habe ich nur wenig Deutsch gesprochen, da Frankfurt eine internationale Stadt ist. Dann war ich aber 11 Jahre lang in Süd-Österreich, in Kärnten. Dort wurde damals wenig Englisch gesprochen. Unser Trainer war Kanadier, aber er hat das Training auf Deutsch geführt. So war es für mich also „Learning by Doing“.

Liste mit Vokabeln an der Wand der Kabine der Grizzlys
Foto: Janina Snatzke

Nicht nur Eishockeytraining steht auf dem "Lehrplan" der Grizzlys, sondern auch Deutschunterricht. Mike Stewart fragt seine Spieler gern spontan ab und gibt Ihnen Hausaufgaben. Und damit es fair bleibt, gibt es für die deutschen Spieler, die sogenannten "Piefkes", Nachhilfe in Kärntnerisch. Beim Kärntner Traditionsverein EC VSV war Mike Stewart 11 Jahre lang, erst als Spieler und dann als Coach.

ZH: Du bist in Kanada auf einer Ranch aufgewachsen.  Wie lässt sich Dein Weg von der Ranch bis hierher zusammenfassen?

MS: Mehr oder weniger war es Eishockey. Ich bin auf der Ranch groß geworden, habe dann aber mit 15 Jahren in Calgary begonnen, Eishockey auf einem höheren Level zu spielen. Der nächste große Schritt war ein Stipendium für die Michigan State University in den USA, wo ich gedraftet wurde und dann als Profi in den nächsten acht Jahren in den USA und Kanada in Minor Leagues unterwegs war.  

Dann ging es nach Europa – Frankfurt, Kärnten, Bremerhaven, Augsburg, Köln und jetzt Wolfsburg. Langer Rede, kurzer Sinn: Eishockey hat mir die Möglichkeit gegeben, die Welt zu sehen.

ZH: Was motiviert Dich am meisten bei der Arbeit? 

MS: Das ist eine gute Frage. Ich bin ehrgeizig und hoffe, dass das ansteckend ist. Meine Spieler spüren das. Es ist richtig gut und solide, wie die Mannschaft bis jetzt zusammenarbeitet. Sie sind nicht nur Freunde, sie sind Kameraden. Und wenn wir rausgehen, wollen wir unsere Fans, die Stadt Wolfsburg und unsere Sponsoren gut vertreten. Wenn wir uns als eine Einheit präsentieren, dann ist das die halbe Miete. Gewinnen und Verlieren, das geht auf und ab. Aber wie man verliert oder wie man gewinnt, das ist entscheidend für mich.

»Die Saison ist noch jung, wir sind auf einem guten Weg, aber es gibt Luft nach oben.«

Mike Stewart

ZH: Was sind Deine Ziele? 

MS: Jeder Profisportler will gewinnen. Punkt. Also reden wir vom Meistertitel. Das einfach zu sagen ist schön und gut, aber dazwischen liegt ein Haufen Arbeit. Worum es mir geht, ist unsere Entwicklung. Es geht nie immer nur steil nach oben, es geht mal rauf und mal runter, aber am Ende der Saison sind wir hoffentlich auf einem Level, das eine gute Entwicklung zeigt, damit wir vollkommen bereit sind für die Playoffs.

In die Playoffs zu kommen ist das Ziel Nummer eins. Dann werden die Karten neu gemischt. Es kam schon vor, dass zum Beispiel die Mannschaft, die am allerletzten Spieltag den 10. Platz in der Tabelle hatte und sich damit noch für die Playoffs qualifizierte, am Ende den Meistertitel geholt hat. Das ist nicht immer der Fall, aber gerade diese unerwarteten Momente im Eishockey sind interessant. Es passiert immer etwas Neues. Mein Job ist nie langweilig. 25 verschiedene Persönlichkeiten hier in der Kabine, Betreuer, Fitness-Coach, Gesellschafter, Interviews – das macht Spaß, weil zwei Tage nie gleich sind. Nie.

ZH: Der Anfang war ja nicht einfach. Die letzten Wochen hielten schon einige Herausforderungen für Euch bereit, durch Corona-Erkrankungen im Team, viele verletzungsbedingte Ausfälle. Gibt es da jetzt eigentlich noch etwas, was Dich überraschen kann? 

MS: Wir als Mannschaft machen keine Ausreden. Es ist uns egal, wie viele Spieler am Abend im Line-up sind, wir gehen raus und wir glauben, dass wir gewinnen können. Mit Zusammenarbeit, mit Zusammenhalt. Und das haben wir geschafft, es ist uns gelungen. Das ist nicht immer so, aber das ist Eishockey.

Wir stehen eben in der Öffentlichkeit und haben, wenn wir arbeiten, zwischen 2000 und – wenn wir beispielsweise in Köln sind – 18.000 Zuschauer. Wir lesen die Kritik in den Zeitungen, hören sie im Radio oder verfolgen sie im Fernsehen. Man gewöhnt sich daran, aber diesen Stress bei der Arbeit muss man gut managen. Das ist eher eine mentale Geschichte. Der Zusammenhalt und das, was wir hier drinnen machen, nur das zählt. Der Rest wird dann schon kommen, wenn wir mit diesem Mantra rausgehen. Es ist nicht leicht, aber es macht Spaß und Du weißt, dass Du am Leben bist, wenn Du im Eishockey arbeitest.   

Mike Stewart kniet auf der Eisfläche vor dem Banner von VW Immobilien
Foto: Janina Snatzke

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