15.11.2021

Dem Sterben ein Zuhause geben Ein Gespräch mit Lucas Weiß

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Das vollständige Interview mit Lucas Weiß vom 13.10.2021 zum Anhören

Erleichterung. Ein Wort, das für Lucas Weiß eine enorme Bedeutung hat. Ein Wort, das er oft von seinen Gästen hört, aber auch von ihren Familien und Angehörigen. Seine Gäste sind Menschen, die ihre letzte Lebensphase im Hospizhaus Wolfsburg verbringen. Bewusst verwendet er die Bezeichnung Gast, nicht Patient, denn hier liegt der Fokus nicht auf der Krankheit, sondern auf den Menschen.

Die Erleichterung eines Gastes, weil er nicht mehr allein ist. Eine Familie, die dankbar dafür ist, dass der Vater keine Angst mehr vor Luftnot haben muss und dass gut für ihn gesorgt wird. Viele Ängste können hier genommen werden. Was das für die Gäste und Familien bedeutet, erfährt Lucas Weiß täglich bei seiner Arbeit als Geschäftsführer des Hospizvereins Wolfsburg. 

»Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.«

Cicely Saunders, Begründerin der modernen Hospizbewegung

Erwartet man beim Betreten des Hospizhauses in der Eichendorffstraße im Zentrum von Wolfsburg eine krankenhausähnliche Atmosphäre, so wird man schon in dem offenen und einladenden Eingangsbereich positiv überrascht. Aus der Küche hört man die fröhlichen Gespräche der haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen, die gerade das Essen für die Gäste zubereiten. Ein Klavier steht bereit und wartet nur auf jemanden, der das Haus mit seinen Klängen füllen möchte. Gemütliche Sessel und Sitzgruppen laden dazu ein, Platz zu nehmen, und der Blick aus dem Fenster zeigt einen liebevoll gestalteten Garten. 

Während Lucas Weiß mit den Helferinnen in der offenen Küche scherzt, kommt eine junge Frau die geschwungene Treppe im Eingangsbereich herunter, geht zu einem großen Steingefäß neben der Treppe und entzündet darin eine Kerze. „Das bedeutet, dass gerade jemand verstorben ist“, erklärt Lucas Weiß. Ganz ruhig und mit einer Selbstverständlichkeit sagt er das, sodass greifbar wird, was manchmal so weit weg scheint: Der Tod gehört zum Leben dazu. Hier darf alles gleichzeitig sein: Fröhlichkeit und Trauer, Mut und Angst, Lachen und Weinen. 

Im Interview spricht Lucas Weiß mit uns offen über seine Arbeit, seine Gedanken über den Tod und wie das Hospiz zu einem Zuhause für die letzte Lebensphase werden kann.

»Ich sehe ein stationäres Hospiz gar nicht so sehr als Einrichtung, sondern vielmehr als Ersatz für ein Zuhause.«

Lucas Weiß

Zuhause (ZH): Wie lange bist Du jetzt schon Geschäftsführer des Hospizvereins in Wolfsburg? 

Lucas Weiß (LW): Seit unglaublichen zwölfeinhalb Jahren. Ich bin mit 26 Jahren Geschäftsführer geworden.

ZH: Wie kommt man als so junger Mensch dazu, Geschäftsführer eines Hospizvereins zu werden? 

LW: Das ist bei mir einfach familiär bedingt. Mein Vater ist Pastor und war zudem lange Vorsitzender eines anderen Hospizvereins. Damals habe ich auch schon mitgeholfen und wusste auch, als ich noch im Studium war, dass mich die Hospizarbeit interessiert und dass es absolut wert ist, sich hier zu engagieren, egal, ob nun hauptamtlich oder ehrenamtlich. 

ZH: Du hattest also von Anfang an auch gar keine Berührungsängste mit dem Thema Tod, weil Dein Vater wahrscheinlich tagtäglich damit zu tun hatte. 

LW: Genau. Für uns in der Hospizarbeit gehört der Tod einfach dazu. Das Thema zu enttabuisieren ist ja eine der Aufgaben für uns. Im Grunde wollen wir wieder dazu befähigen, dass wir alle zusammen Menschen im Sterben begleiten können. Es geht nicht darum, immer mehr Hospize und Einrichtungen zu bauen. Eigentlich geht es darum, dass Menschen in ihren Familien sagen können: „Ich schaffe das, ich begleite Dich.“ Wir bilden auch keine Sterbebegleiter aus, wie man das vielleicht von der Ausbildung her kennt, sondern wir qualifizieren, wir kommen mit Menschen ins Gespräch und bereiten darauf vor, wie wir mit der Sterbebegleitung umgehen können. 

Eigentlich liegt es in unserer Natur, Angehörige im Sterben zu begleiten, und über Jahrhunderte wurde das so gemacht. Das erste Hospiz gibt es hingegen in Deutschland erst seit den Neunzigerjahren. Das ist also noch immer eine ganz neue Entwicklung.

Lucas Weiß im Garten des Hospizhauses in Wolfsburg
Foto: Janina Snatzke

ZH: Nimmst Du das auch so wahr, dass sich in dem Umgang mit Trauer in den letzten Jahren oder auch Jahrzehnten schon eine Menge verändert hat? 

LW: Ja, absolut. Ich habe schon das Gefühl, dass die gesamte Betrachtung der Sterbebegleitung in ein besseres Licht gerückt wurde. Auch durch die Corona-Pandemie haben wir gemerkt, dass viele Menschen zu Hause waren und dadurch auch mehr Zeit hatten, ihre Liebsten zu begleiten.

Es ist eine gute Nachricht, dass viele Menschen sich das zutrauen. Wir können das! Ich ermutige auch immer wieder dazu, dass wir das auch als Gesellschaft schaffen können. 80 Prozent der Deutschen wünschen sich, zu Hause zu versterben, in Wahrheit sind es aber mehr als 60 Prozent, die in Kliniken von uns gehen. Mit unseren stationären Hospizen versuchen wir auch deswegen ein Zuhause zu sein, um diesen Wunsch wenigstens ein Stück weit erfüllen zu können.

ZH: Als Geschäftsführer hast Du ja wahrscheinlich vielseitige Aufgaben. Wie kann man sich einen Arbeitstag bei Dir vorstellen?

LW: Meine Hauptaufgabe ist, dafür zu sorgen, dass wir die Spenden bekommen, die wir brauchen. Unser Hospiz in Wolfsburg braucht allein schon 150.000 Euro Spenden im Jahr. Das liegt einfach an dem Gesetz, das vorschreibt, dass man mit der Krankenkasse einen gewissen Tagessatz verhandelt, der dann aber nicht komplett ausgezahlt wird. Einen gewissen Prozentsatz hiervon müssen wir aus Spendengeldern beisteuern. Und dann haben wir natürlich auch noch viele andere Ausgaben, für die wir Spendengelder benötigen. 

Es gibt die Trostinsel, unser Angebot für trauernde Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel zu uns kommen können, wenn sie im Hospiz Eltern oder Großeltern verlieren. Hierfür werden in Wolfsburg auch pro Jahr 100.000 Euro Spenden benötigt. 

Dann haben wir auch das Palliativ-Netzwerk, das ebenfalls auf Spenden angewiesen ist, sodass wir pro Jahr insgesamt Spenden in Höhe von 350.000 bis 400.000 Euro brauchen. Das ist also meine Hauptaufgabe. 

Zusammen mit den Teamleitern hier und den ganzen Mitarbeitern bieten wir dieses Haus an, und zwar immer alle gemeinsam. Ich würde mich nie als derjenige sehen, der hier alles organisiert. Im Gegenteil – wir sind ein großes Team und jeder arbeitet an seiner Stelle so, dass dieses Haus überhaupt funktioniert. 

Wir haben vier Pflegekräfte in der Frühschicht, drei in der Spätschicht und zwei in der Nachtschicht. Es ist also nie ein Pfleger allein. Das ist eine der großen Errungenschaften der letzten Jahre, über die wir sehr froh sind.

ZH: Wie schafft Ihr es, dass Eure Gäste sich bei Euch zu Hause fühlen können? 

LW: Das ist eine spannende Frage, auch weil wir ja noch ein zweites Hospizhaus in Heiligendorf bauen wollen. In Wahrheit schaffen wir das aber über die Menschen. Wenn die Liebsten und gute Pflegekräfte da sind, gute Hauswirtschaftskräfte und ein Sozialdienst, der sich kümmert, dann glaube ich, dass ein Hospiz überall sein könnte.

Natürlich ist es toll, wenn man ein Hospiz planen kann wie in Heiligendorf, das uns viel mehr Möglichkeiten gibt. Ein Pflegebad für die Gäste oder draußen die Natur zu erleben, genauso wie unser Garten hier von einem ehrenamtlichen Team so gestaltet wird, dass Gäste einfach gerne dort sind. Solche Sachen sind toll und darum geht es auch. Man kann es wirklich vergleichen mit einem Zuhause. Wir machen auch alles selbst: Wir waschen die Wäsche, wir reinigen selbst, kochen und pflegen, gehen bei REWE oder beim Bioladen einkaufen. Wir haben hier keine Leistung, die wir uns von extern einkaufen. Es ist wie zu Hause.

Oft werde ich gefragt, wie man überhaupt einen Platz im Hospiz bekommt. Es ist so, dass jeder Hausarzt und jeder Facharzt eine Hospizverordnung ausstellen kann. Diese kann er über unsere Homepage herunterladen und ausdrucken. Sobald also ein Arzt diese Hospizverordnung unterschreibt und damit sagt, dass die letzte Lebensphase seines Patienten begonnen hat, können wir ihn aufnehmen.

Das ist ein großes Gut in Wolfsburg. Viele andere Hospize machen das nicht und warten auf Kostenzusagen der Krankenkassen. Wir vertrauen den Ärzten. Wenn die letzte Lebensphase dort attestiert wird, dann nehmen wir den Gast auf. In der Aufnahme wird dann meist schon zusammen mit den Angehörigen besprochen, was die Gäste gerne mitbringen möchten. Bilder, Möbelstücke, Bettwäsche, besondere Kleidung – es ist alles möglich.

Perspektivische Ansicht des geplanten Hospizhauses in Heiligendorf
So wird das neue Hospizhaus in Heiligendorf aussehen (Bild: Wolfsburg Consult GmbH)

ZH: Wie kann man Euch unterstützen?

LW: Natürlich erst einmal durch ein ehrenamtliches Engagement. Es gibt ganz viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Man kann in der Küche helfen, im Garten, beim Rezeptionsdienst – wir brauchen eigentlich überall Hilfe. Auch wenn sich jemand vorstellen kann, sich als ehrenamtlicher Sterbebegleiter bei uns im Hospizverein zu engagieren, ist er herzlich eingeladen, hier einfach mal anzurufen, um mit unseren Koordinatorinnen ins Gespräch zu kommen.

Aber natürlich brauchen wir auch jeden Cent – da bin ich ganz ehrlich. Jede Spende wird dabei helfen, dass nicht nur die stationäre Hospizarbeit ausgeweitet werden kann, sondern auch die ambulante. So können immer mehr Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu Hause sein und dann am Ende, wenn es zu Hause doch nicht mehr gehen sollte, ein freies Bett im stationären Hospiz bekommen. 


Mein Weg zur ehrenamtlichen Sterbebegleitung

Jutta Sensche
Jutta Sensche

Jutta Sensche, VWI-Mieterin in den Steimker Gärten, nimmt im Hospizverein Wolfsburg an dem Basiskurs zur Trauerbegleitung teil, der die Teilnehmenden auf alle Bereiche der Sterbebegleitung vorbereitet. 

Ich bin erst vor einem Jahr nach Wolfsburg gezogen und der Anfang in einer neuen Stadt, gerade wenn man allein ist, ist nicht immer leicht. Meine Tochter, die hier als Krankenschwester arbeitet, sagte mir, dass ehrenamtliche Helfer im Hospiz gebraucht werden. Ich muss ehrlich sagen, dass ich früher ein völlig anderes Bild von einem Hospiz hatte, und als ich dann hier vor der Tür stand, war ich wirklich nicht sicher, ob ich reingehe. Vor einigen Jahren ist mein Mann verstorben und als damals der Arzt vom Hospiz sprach, kam das für mich überhaupt nicht in Frage.

Als ich dann aber den Schritt gewagt habe, war ich so positiv überrascht von der Wärme und der Herzlichkeit, dass mir meine Ängste und Bedenken ganz schnell genommen wurden. Ich habe hier eine tolle Gemeinschaft gefunden, auch mit den anderen „Neulingen“, die den Kurs zur Sterbebegleitung machen. Das Personal im Hospiz ist einfach großartig und ich erlebe hier so schöne Momente, auch mit den Gästen.

Der Raum der Stille im Hospizhaus Wolfsburg
Der Raum der Stille dient als Rückzugsort für die Gäste und ihre Angehörigen (Foto: Janina Snatzke)

Wenn Sie mehr über den Hospizverein Wolfsburg erfahren möchten und sich vielleicht sogar für eine ehrenamtliche Tätigkeit interessieren, dann finden Sie hierzu viele Informationen auf der Website www.hospiz-wolfsburg.de

Außerdem können Sie sich natürlich telefonisch an den Hospizverein wenden unter 05361 600 929-0.

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