Die Kunst, dem Gefühl zu vertrauen Ein Besuch im Atelier des Wolfsburger Künstlers Paul Kaminski
Im Wolfsburger Ortsteil Ehmen, etwas verborgen in einem etwa 100 Jahre alten, geschichtsträchtigen Haus, findet man das Atelier des Wolfsburger Künstlers Paul Kaminski. Seine Werke sind auf der ganzen Welt zu sehen und wurden unter anderem in Melbourne, London und Zürich ausgestellt. In Wolfsburg ist Paul Kaminski aber als Künstler noch ein Geheimtipp, auch weil er eher zurückgezogen lebt und um seine Person keinen großen Wirbel macht.
Das Haus, in dem er lebt und arbeitet, ist von wild wachsendem Grün umgeben und hat eine spannende Historie. Unter anderem wurde es als Offizierscasino, Briefmarkenhandlung und später als Schule genutzt. Schon beim Betreten taucht man in eine andere Welt ein: Überall stehen Leinwände, Materialien und Boxen und es herrscht ein einladendes kreatives Chaos. Am Ende eines langen Flurs gelangt man in das lichtdurchflutete Atelier, in dem man sich erst einmal
in Ruhe umschauen möchte, um die unzähligen Bilder in den verschiedensten Größen auf sich wirken zu lassen, die an den Wänden hängen und lehnen. Pinsel, Schwämme, Kreide und Farbtuben liegen bereit und verbreiten eine kreative Werkstattatmosphäre. Hier haben wir mit Paul Kaminski darüber gesprochen, wie er mit der Malerei begonnen hat, wie seine Bilder entstehen und welche Herausforderungen der Beruf des Künstlers mit sich bringen kann.
»Wenn Du es Dir erlauben kannst, zu malen, ohne zu verkaufen, dann malst Du ganz andere Bilder.«
Paul Kaminski, Künstler
Zuhause (ZH): Herzlich willkommen! Wir freuen uns sehr, dass wir das Interview mit Dir machen können.
Es wäre schön, wenn Du unseren Leserinnen und Lesern ein bisschen über Dich erzählst.
Paul Kaminski (PK): Ich bin Paul Kaminski, eigentlich kennen mich alle als Paul, und ich komme aus Kasachstan. In Wolfsburg lebe ich seit fast 30 Jahren und ich male Bilder. Das ist meine Berufung. Künstler zu sein ist eine gute Sache. Wie heißt es in dem Zitat von Wilhelm Busch so schön: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“. Als Künstler hast Du diesen Bonus und kannst machen, was Du willst. (lacht)
Besonders hier in Wolfsburg geht es vielen nicht so. Viele stecken in einer Schiene, einem Rahmen, aus dem sie nicht rauskommen. Aber ich darf das. Und das genieße ich auch. Eigentlich sollte ich glücklich sein. Es ist das Beste, was mir passieren konnte.
Ich wollte das Ganze aber tatsächlich schon mehrmals hinschmeißen, denn von der Malerei zu leben ist nicht so einfach. Als Künstler hast Du manchmal Geld und manchmal nicht. Das ist eine Wellenbewegung. Es ist
ein Abenteuer, da muss ich ehrlich sein.
Geld darf man nicht unterschätzen. Das Durchschnittseinkommen bei Künstlern liegt bei 800 Euro pro Monat. Bilder verkaufst Du nicht jeden Tag. Die Miete musst Du aber trotzdem jeden Monat bezahlen. Wenn Du es Dir erlauben kannst, zu malen, ohne zu verkaufen, dann malst Du ganz andere Bilder, es kommen ganz andere Bilder zustande. Wenn Du etwas verkaufen willst, musst Du Dich schon anpassen.
Ich rede viel vom Geld. Oscar Wilde hat, glaube ich, mal gesagt: „Wenn sich zwei Banker treffen, reden
sie über Kunst. Wenn sich zwei Künstler treffen, reden sie über Geld.“ (lacht).
ZH: Wie hat es angefangen mit der Malerei?
PK: Ich habe immer gemalt, auch schon in meiner Kindheit. Als Kind war ich oft krank und hatte Asthma. Daher konnte ich mich zwar nicht viel bewegen, aber malen konnte ich immer. Und seitdem male ich. In Kasachstan habe ich zunächst klassische gegenständliche Malerei gelernt. Als ich nach Deutschland kam, habe ich gesehen, dass es hier eine ganz andere Ästhetik und Denkweise gab als in Kasachstan. Da musste ich richtig umdenken.
ZH: Was hat Dich dazu inspiriert, abstrakte Bilder zu malen?
PK: Das habe ich erst für mich entdeckt, als ich nach Deutschland kam. Ich habe mich damals bei Galerien beworben mit meinen klassischen gegenständlichen Bildern und ein Galerist in Braunschwieg hat geschmunzelt und mir geraten, abstrakte Bilder zu malen. Und ich sagte zu ihm: „Abstrakte Bilder? Wie viele brauchst Du? Ich bringe Dir morgen abstrakte Bilder.“ Und er meinte nur: „Morgen nicht, aber in zwei Wochen, okay?“ (lacht)
Ich war dann ganz begeistert und machte mich gleich ans Werk, saß dann aber einen Tag und einen zweiten Tag und nichts passierte. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Damals habe ich dann verstanden, dass abstrakt zu malen viel schwieriger ist. Manche Leute meinen zur abstrakten Kunst, so ein paar Kritzeleien, das ist einfach, das kann ich auch. Aber das ist überhaupt nicht der Fall. Das ist ein Gefühl, eine Denkweise. Und das kann man nicht beibringen.
Was ich anders mache, was auch so etwas wie ein Merkmal meiner Bilder geworden ist: Ich mische
die europäische und die asiatische Schule. Hier in Europa ist es meistens so, dass die Tiefe in einem Bild mit dunklen Farben erzeugt wird. Bei der asiatischen Schule verhält sich das umgekehrt. Sie verwenden helle Farben und Weiß, um Tiefe zu erzeugen. Sie haben meistens in der Malerei mit wenigen Elementen auf einem weißen Blatt Papier gearbeitet. Beides verbinde ich in meinen Bildern.
»Wenn Du versuchst, wie andere zu sein, dann hast Du verloren.«
Paul Kaminski
ZH: Wie entstehen Deine Bilder?
PK: Wenn ich anfange zu malen, weiß ich noch nicht, was dabei herauskommt. Es gibt zwar auch Künstler, die genau wissen, was sie malen werden, aber das kann ich nicht. Ich male unterbewusst, aus dem Bauch. Ich arbeite auch nicht mit Skizzen. Die besten Bilder kommen, wenn der Kopf abgeschaltet ist. Auch wenn ich wütend bin, entstehen manchmal die besten Bilder. Zum Beispiel wenn ich einen Brief vom Finanzamt bekommen habe. (lacht)
Ich glaube, dass jemand, der rundum zufrieden und angekommen ist, langweilig wird. Die Spannung und der Schmerz fehlen. Mit einem unruhigen Geist kommt Spannung auf und das sieht man auch in den Ergebnissen. Ich male relativ schnell, der Prozess vorher dauert immer am längsten. Manchmal sitze ich viele Stunden da und kann nichts zu Papier bzw. auf die Leinwand bringen. Und dann plötzlich, in einer halben Stunde oder in einer Stunde, male ich das Bild fertig, aber meistens um 10 oder 11 Uhr abends.
ZH: Da kommt dann die Inspiration?
PK: Es ist komisch, ich weiß nicht genau, was es ist. Aber es ist, wie wenn eine Feder Dich berührt und Dir ein Schauer durch den Körper läuft. Wenn Du dann den Kopf frei machst und Dich selbst dabei vergisst, dann kommt ein gutes Bild dabei heraus.
ZH: Wie ist Dein Blick auf die Kunstszene? Was macht den Erfolg aus?
PK: Die Kunstszene ist Glückssache. Ich hatte solche Momente, wo ich zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Das ist ganz anders, als wenn ich zum Beispiel bei Volkswagen arbeite und mich dort Schritt für Schritt hocharbeite. So etwas gibt es für Künstler nicht. Manchmal klappt es, manchmal nicht – das ist Glückssache. Künstler zu sein ist außerdem eine Denkweise. Wenn Du versuchst, wie andere zu sein, dann hast Du verloren.
Bei mir ist es so, dass die Leute inzwischen eine bestimmte Art zu malen gewohnt sind, die Galerien auch. In letzter Zeit male ich sehr großformatige Bilder. Ein Galerist kam zu mir und war begeistert von den neuen Bildern. Er hat sich aber für andere Bilder entschieden und sagte: „Von den großen Bildern bin ich begeistert, aber nur die kleineren kann ich präsentieren.“
Wenn Du in einer Schiene bist, ist es schwierig, dort auszubrechen. Für so etwas musst Du dann andere Galerien suchen. Jemand hat mal gesagt: „Die Bilder, die ins Wohnzimmer passen, die passen nicht ins Museum.“
ZH: Unser Magazin heißt ja „Zuhause“. Was bedeutet Zuhause für Dich?
PK: Das ist für mich eine schwierige Frage. Ich bin deutschstämmig und in Kasachstan geboren. Da war ich nicht zu Hause, weil man als Deutscher dort nicht reingepasst hat. Dann kam ich hierher und hatte das gleiche Problem. Ich habe, so gesehen, eigentlich kein Zuhause. Ich habe mich aber hier eingerichtet und fühle mich wohl hier in Wolfsburg.
Weitere Bilder und Informationen finden Sie auf der Website von Paul Kaminski.
Fotos: Janina Snatzke